Es ging um mehr als Technologie - 2. Mergentheimer Kolloquium für Digitale Transformation
Auch das zweite Mergentheimer Kolloquium für Digitale Transformation fand nicht an dem Ort statt, nach dem es benannt ist, sondern am Campus Mosbach und im digitalen Raum – wie schon 2020. Nun aber war man froh, mit einer Hybrid-Veranstaltung wenigstens mit einem Teil der Teilnehmerinnen und Teilnehmer „von Angesicht zu Angesicht ein wenig Tagungsatmosphäre“ schaffen zu können.
So drückte es der Gastgeber aus, Prof. Dr. Dietrich Emmert, Studiengangleiter von BWL-Digital Business Management der DHBW Mosbach am Campus Bad Mergentheim. Angemeldet hatten sich rund 130 Männer und Frauen, an die sich das Kolloquium richtet: Studierende sowie Führungskräfte und Fachverantwortliche aus allen Unternehmensbereichen, die sich mit der digitalen Transformation beschäftigen oder Informationen hierzu aus erster Hand bekommen möchten. Diese Hände gehörten zu drei Personen, die als Vortragende in das Audimax geladen waren.
Zur Begrüßung und Einleitung führte Professor Emmert in das Thema ein, das bereits bei seiner Premiere 2020 auf ein großes, überregionales Interesse gestoßen war. „Ich denke, uns allen ist klar, dass wir hier vor riesigen neue Möglichkeiten stehen und nur zu oft nicht wissen, wie wir uns diese Möglichkeiten zunutze machen“, warb er für die Studienrichtung. Weil man das Zunutzemachen vor allem von Unternehmen lernen könne, die Erfahrungen hätten, freute sich Emmert, drei ihrer Vertreter in Mosbach zu begrüßen und darauf hinzuweisen, dass alle drei Unternehmen Duale Partner von BWL-Digital Business Managments seien.
Was es beim Temperieranlagenhersteller Lauda Dr. R. Wobser GmbH & Co. KG mit Sitz in Lauda-Königshofen mit der digitalen Transformation auf sich hat, das hatte schon vor einem Jahr dessen Geschäftsführer mit einer „Roadmap zur Digitalisierung im Mittelstand“ vorgeführt. Nun war Dr. Gunther Wobser, geschäftsführender Gesellschafter des Familienunternehmens gekommen, um zum Stichwort „Open Innovation“ zu sprechen. Wobser erzählte viel aus dem Silicon Valley, wo er sich ein Jahr aufgehalten hat. Er hat Antworten auf die Frage gesucht (und gefunden), wie der Mittelstand – „das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, der vielen mittlerweile als rückwärtsgewandt und träge gilt“- überleben kann. Dass es wenig hilft, auf die Tradition als Familienunternehmen zu setzen, veranschaulichte er mit einer Gegenüberstellung: hier eine Liste der ältesten Firmen Europas, dort eine Weltkarte der „Unicorns“, Start ups mit eine Gesamtwert von je mehr als einer Milliarde Dollar. „Da sehen wir Europa unter ferner liefen.“
„Neu erfinden“ – so heißt der Titel eines von ihm vor einem Jahr veröffentlichten Buches - müsse sich der Mittelstand und vom Silicon Valley lernen. „Entdecken, sich häuten, ausprobieren und das mit Tempo“, waren Schlagworte, die er aus Kalifornien mitgebracht hat und hier in seinem Unternehmen übersetzt - mit „Risikobereitschaft, einer Kultur des Scheiterns und Vertrauen“. Oder kurz: Open Innovation. Bei Lauda fühle man sich der Tradition als modernes Familienunternehmen wohl verpflichtet, öffnet sich jedoch gleichzeitig agil und systematisch für Innovationsprozesse. Leiten lässt sich Wobser von dem Satz: „Kultur ist kein Hindernis für Veränderung, Kultur ist das Ergebnis von Veränderung“. Zu den Innovationsaktivitäten bei Lauda zählen: überdurchschnittlich hohe Investitionen in neue Produkte und Technologien, Kooperationen mit Start-ups, die Zugang zu diesen haben, ein eigenes Innovationslabor, Impulse aus allen Unternehmensbereichen als auch von außen (Kundschaft). Sie werden durch Ideenmanagement nutzbar gemacht.
Mit Martin Jauss trat der Vertreter eines weiteren Weltmarktführers ans Mikrofon und vor die Kamera; er ist Sprecher der Geschäftsführung der Würth Industrie Service GmbH & Co. KG., ein „Würth-Gewächs und ehemaliger BA-Student“. So simpel wie seine Unternehmensbeschreibung klang – „Einkaufen, verkaufen und dazwischen was tun, das Mehrwert schafft“ – so sei Digitalisierung eine „Zukunftsnotwendigkeit“. Zukunftssicherung und -gestaltung kann für den Künzelsauer Spezialisten für Montage- und Befestigungsmaterial nur „im europäischen Kontext“ funktionieren – digital und mit Innovation. Jauss sprach für den noch eher jungen Geschäftsbereich Würth Industrie Service in Bad Mergentheim und lobte eingangs die Initiative der DHBW und ihr Kolloquium für den kleinen Ort. „Für unser Geschäft in Europa liegt die Komplettverantwortung in Bad Mergentheim.“
Nicht die enorm große Zahl von Artikeln (1,25 Millionen plus monatlich 10 000 neue) allein zähle, sondern man konzentriere sich auf den Prozess. Anspielend auf den Titel der Veranstaltung „Digitale Transformation“ hob Jauss den stetigen Wandel dieses Prozesses hervor, Transformation aber bedeute eine Statusveränderung von A nach B. Doch: „Digitalisierung hat keinen Status, hat keinen Anfang gehabt und wird auch kein Ende haben.“ Vor allem erfordere sie Mitgestalten. Insbesondere jungen Menschen (aus dem DHBW-Studiengang Digital Business Management) traut man das bei Würth zu. „Sie bringen uns weiter, bringen frischen Wind ins Unternehmen.“ Negativen Aussagen über die Digitalisierung setzte Jauss entgegen: „Man muss sie richtig nutzen.“ Bei Würth werde das Kerngeschäft digitalisiert. Man verschafft sich mittels Process Mining Klarheit über Prozessabläufe, man automatisiert durch Roboter und in der Logistik, um die Mitarbeiter von immer gleichen Tätigkeiten zu befreien, schafft so Gestaltungsfreiräume und erreicht Innovationen im System und im Management. „Kleine Dinge, extreme Wirkung!“
„Auch wir waren im Silicon Valley“, ließ Dr. Johannes van der Beek als dritter Referent die Zuhörer im Audimax und vor den Bildschirmen wissen. Er ist Group Director R&D / Design & Engineering und Mitglied der Konzernleitung der Mosca GmbH in Waldbrunn und ebenfalls Partnerunternehmen der DHBW. Disruption durch Digitalisierung sei allgegenwärtig, auch im Maschinenbau“, blickte van der Beek auf die Reise in die USA zurück, „vor allem aber haben wir gelernt, die Chancen zu sehen.“ Mit digitalen Funktionen und Dienstleistungen Umsatz zu generieren, sei in vielen Unternehmen ein neues Themenfeld, beschrieb van der Beek das Innovationspotential im Maschinen- und Anlagenbau. „Dafür brauchen wir interdisziplinäre und agile Produktentwicklungsteams, innovative Arbeitsgruppen, Kooperation mit den Kunden und Kollaborationen unterschiedlicher Partner.“
„Es geht nicht nur um Technologie, sondern darum, was wollen wir damit machen?“ Anders ausgedrückt: Es gehe um die Veränderung von Organisation und Denkweisen – intern und extern, so der Maschinenbau-Ingenieur, „es geht um Menschen und neue Ideen.“ Und darum, das Erlebnis des Kunden in den Vordergrund zu stellen. Die Ebene des Kunden, den Nutzen vor Ort stellte er in den Mittelpunkt seines Vortrags. Digitale Dienstleistungen für den Kunden ergeben sich auf der Grundlage von Maschinendaten hier, von den Daten kommt es zu einzigartigen Aktionen, angepasst für den Kunden und sein Produkt dort. Dass dabei auf Cloud-Dienstleistungen zurückgegriffen werde, gehört bei Mosca zur digitalen Architektur. „Der Maschinenbau verschmilzt mit der IT-Technik, das Internet der Dinge vernetzt Maschinen und Anlagen, die digitalen Anwendungen optimieren die Verfügbarkeit und Nutzung unserer Anlagen“, beschreibt man bei Mosca den Prozess der Transformation, der auch Disruption ist, die Ablösung alter durch neue Technologien. An das anknüpfend, was seine Vorredner gesagt hatten, fasste der Mosca-Mitarbeiter seine Rede zusammen in zwei (englischen) Worten zusammen: Nonstop Performance.
Spannend war es in der abschließenden Podiumsdiskussion, die Dr. Kim Linsenmayer moderierte. Sie ist Coach und Trainerin bei Leadacs - Leadership Accelerators, Linsenmayer Personal Beratung & Vermittlung GmbH in Bad Mergentheim. Die Fragen hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der digitalen Plattform geäußert. „Wie lässt sich das Wissen von außen gut koppeln mit dem internen?“ lautete die erste. Gunther Wobser regte auch diesbezüglich an zum Ausprobieren - „im Sinne der Kultur des Scheiterns“. Nicht nebenher laufen lassen“, ist man bei Würth tatsächlich schon gescheitert und greife daher auf Zusammenarbeit mit Externen zurück, berichtete Martin Jauss.
Wie die Digitalisierung in die eigentlichen Geschäftsmodelle eingreife, war Inhalt eines weiteren Fragen- und Antwort-Komplexes. „Wir kommen mehr und mehr dahin, dass wir Temperaturleistungen verkaufen“, so Gunther Wobser, „das stellt unsere Tradition als Gerätelieferant auf den Prüfstand.“ Johannes an der Beek sieht mit der Digitalisierung Maschinenbau und Elektrotechnik zusammenwachsen. „Das ist ein echter Wandel. Wir agieren in einer Art und Weise, die wir so nicht kannten“ Ein Ansatz bei Mosca sei, die Transformation mit jungen Talenten zu erschließen. Kim Linsenmeyer hakte ein: „… wie wir als DHBW auch.“ Wen man da suche? Da waren sich die drei Referenten einig: „Wir suchen begeisterungs-, team- und kontaktfähige Menschen.“ Bei Würth agiere man aus der Stabilität der Tradition heraus nach vorn, meinte Jauss. Auch bei Mosca, ergänzte van der Beek, schließe das Eine das Andere nicht aus: „Junge Wilde und Erfahrungsträger.“ In den Unternehmen weiß man aber auch: Um das knappe Gut des Nachwuchses muss geworben werden. „Da müssen wir begeistern und schon in der Schule anfangen!“