KI befreit von Routine-Aufgaben im Vertrieb
Die TREND REPORT-Redaktion im Gespräch mit Prof. Dr. Sven Seidenstricker von der DHBW Mosbach, über neue Skills für Vertriebler und den B2B-Vertrieb der Zukunft.
Herr Prof. Seidenstricker, welche Skills und Fähigkeiten benötigt der wettbewerbsfähige „B2B-Vertriebler“ in Zukunft?
Der Vertriebler der Zukunft sollte sich das Leben leichter machen. Sicher, die Fülle der aktuellen Herausforderungen in der täglichen Arbeit im Vertrieb sind groß, aber es gibt Hoffnung. Neue Technologien erleichtern den Vertriebsmitarbeitern die Arbeit erheblich. Angst, dass sie zukünftig durch Maschinen ersetzt werden, müssen sie aber nicht haben. Der wettbewerbsfähige Mitarbeiter sollte in der Lage sein, die Möglichkeiten der intelligenten Systeme für sich zu nutzen und Daten zu interpretieren. Das erfordert Offenheit, Mut und digitale Kompetenzen. In aktuellen Stellenanzeigen in Deutschland ist dies nur bedingt abgebildet. Dies mag daran liegen, dass Unternehmen überhaupt froh sind, Fach- und Führungskräfte in ihrer Branche zu finden. In Zukunft wird diese Kompetenz aber zentral sein. Der Engpass an Ressourcen und Zeit wird Führungskräfte noch stärker fordern, sich mit der Digitalisierung auseinanderzusetzen und sich selbst intensiv einzubringen.
Laut Ihrer aktuellen Studie besteht in Deutschland, im Hinblick auf die digitale Transformation, noch Aufholbedarf beim B2B-Vertrieb. Was sollten die Unternehmen und Sales-Mitarbeitende jetzt ändern?
Wir haben eine Studie mit jeweils über 200 Vertriebsmitarbeitern in den Ländern USA, Indien, China und Deutschland durchgeführt. Das Gesamtergebnis ist eindeutig: Sowohl bei der Offenheit gegenüber neuen technologischen Möglichkeiten als auch beim klaren Fokus, die Digitalisierungskompetenz auszubauen, haben China und Indien die Nase vorn. Es besteht aber Hoffnung, die Corona-Pandemie hat hier einiges dazu beigetragen. Ein entscheidender Erfolgsfaktor ist das Vorhandensein einer kommunizierten und gelebten Digitalisierungsstrategie im Unternehmen. Viele Unternehmen sind dran und haben dies ganz oben auf die Agenda genommen. Wir haben festgestellt, dass ohne enge Verzahnung von IT und Vertrieb nichts geht. Es braucht die IT-Kompetenz direkt im Vertrieb sowie die „Erlaubnis“, die notwendigen Projekte umsetzen zu können. Deshalb ist es uns so wichtig, das Interesse für neuste Technologien schon im Studium zu fördern, indem die angehenden Wirtschaftsingenieure Nutzungsbeispiele für Datenbrillen erstellen oder Prototypen für digitale Services und Geschäftsmodelle entwickeln.
Welche Vertriebsaufgaben können KI- und Automatisierungstechnologien heute schon übernehmen?
Wir haben uns angeschaut, welche Prozesse entlang der Customer Journey schon heute automatisiert und bspw. mit KI unterstützt werden können. Insgesamt bietet sich Automatisierungspotenzial entlang der gesamten Customer Journey. Dazu gehören die Lead-Qualifizierung durch Predictive Analytics, das Erstellen personalisierter Angebote und Inhalte, das Lead-Scoring zur Priorisierung von Verkaufschancen, automatisierte E-Mail-Kampagnen sowie die Analyse von Kundenfeedback zur Verbesserung des Wertangebots. Darüber hinaus bietet die datenbasierte dynamische Preisgestaltung sowie die automatisierte Berichterstellung und Datenanalyse neue Chancen für den Vertrieb. Basierend auf Kundenprofilen kann das individuelle Kundenerlebnis auf eine neue Ebene gehoben werden und Chatbots können grundlegende Beratungsleistungen rund um die Uhr übernehmen.
Welche Tools und neue Technologien können zum Einsatz kommen?
Unternehmen nutzen schon heute generative KI, um Nachrichten automatisch zu generieren und dadurch die Kunden zu bedienen. Darüber hinaus ermöglichen Tools wie Leexi, Vertriebsmeetings zusammenzufassen und zu analysieren, oder der LinkedIn Sales Navigator unterstützt bei der Leadgenerierung. Augmented und Virtual Reality sorgen für ein nie dagewesenes Kundenerlebnis im digitalen Raum und optimieren dadurch die Interaktion zwischen Vertrieb und Kunden. Weiterhin gibt es bereits Lösungen, die bei der Interpretation von Emotionen unterstützen und dadurch Inhalte noch besser auf Kunden ausrichten. Durch die stetige Sammlung von Daten in CRM-Systemen entsteht ein digitaler Zwilling des Kunden und sein Verhalten kann besser prognostiziert werden. Zukünftig ist auch denkbar, dass Kunden Technologien einsetzen, die automatisiert Käufe tätigen und menschliche Interaktionen beim Kauf- bzw. Verkaufsvorgang reduzieren.
Was sind entscheidende Erfolgsfaktoren beim Einsatz der neuen Technologien im Vertrieb?
Der Einsatz von intelligenten Systemen muss zum Wertangebot, zur Branche und der aufgebauten Geschäftsbeziehung passen. Der Nutzen und Effizienzgewinn durch digitale Lösungen sollten stets im Vordergrund stehen. Daher sind Fragen zu klären, wie: Welche Vorteile bietet die neue digitale Lösung gegenüber bestehenden Systemen? Wo könnte diese getestet werden? Gibt es Best-Practise-Beispiele und Experten, deren Erfahrungen genutzt werden können? Die neuen Technologien sollten die Mitarbeiter unterstützen, für ihre Kunden und deren Bedürfnisse mehr Ressourcen zu haben. Gleichzeitig bedeutet ein automatisierter Vertrieb nicht, dass sich alles in den digitalen Raum verlagern wird. Neben der Bereitschaft auf Kunden- und Vertriebsseite ist ein hybrides Vertriebsmodell, das digitale und analoge Möglichkeiten durchgängig miteinander verknüpft, ein wichtiger Erfolgsfaktor.
Welche Vorteile haben Mitarbeitende und Unternehmen davon?
Künstliche Intelligenz im B2B-Vertrieb bietet die Chance, den Vertrieb stärker von Routineaufgaben zu befreien, sodass er Zeit für die wirklich wichtigen Aufgaben hat: die Betreuung seiner Kunden. Werden Vertriebsberichte, Zusammenfassungen von Meetings oder die wichtigsten Kundenspezifika auf Basis der verfügbaren Daten automatisiert zusammengefasst und dem Vertrieb in Echtzeit zur Verfügung gestellt, kann er seine Kunden tiefgreifender verstehen und seine Beratung optimieren. Er kann seine Beratung und Wertangebote noch zielgerichteter auf die Bedürfnisse der Kunden ausrichten und dadurch deren Zufriedenheit und Loyalität steigern. Darüber hinaus können Leads zielgerichteter identifiziert und qualifiziert werden, was eine immense Zeitersparnis für den Vertrieb bedeutet. Er kann sich stärker strategischen Aufgaben widmen und seine Zeit und Tätigkeiten auf die wirklich wichtigen Kunden ausrichten.
Herr Prof. Seidenstricker, mit welchen Forschungsprojekten sind Sie und Ihr Team gerade beschäftigt?
Wir starten ab Juli 2024 ein Expertennetzwerk für führende Unternehmen der Branche, um dem Thema Digitalisierung des Vertriebs eine Plattform zu bieten. Darüber hinaus arbeiten wir intensiv an dem Thema Customer Success Management. Die führenden IT-Unternehmen im globalen Kontext haben Customer Success Management „entwickelt“. Ihr Erfolg hat ihnen Recht gegeben und diesen Ansatz sukzessive zu einem durchschlagenden Managementansatz weiterentwickelt. Die Forschung hat die Erfolge lange ignoriert. Wir arbeiten seit etwa 5 Jahren daran und sind einer der führenden Hochschulen in Europa, um die Forschung voranzubringen und dies in die Praxis zu transferieren. Nur ein Beispiel: Es gibt global Hunderttausende Customer Success Manager. Bis heute gibt es aber kaum Ausbildungsinstitute oder Hochschulen, die die Inhalte vermitteln. Die nächsten Schritte sind, dies mit Nachhaltigkeit und Value-Based Selling zu verbinden. Alle drei Themen hängen aus unserer Sicht zusammen, um intrinsisch motiviert für nachfolgende Generationen eine saubere und mensch-zentrierte Welt zu hinterlassen.