Deiche und Probabi-Was?!
Doktorand aus dem Bauingenieurwesen erklärt sein Forschungsprojekt.
Regelmäßig halten Hochwasserkatastrophen die Menschen in Atem - auch in Deutschland. Das Problem betrifft keinesfalls nur Küstenregionen, wie spätestens nach der Katastrophe in Ahrweiler im Juli 2021 auch der Öffentlichkeit bekannt ist. Deiche können im Katastrophenfall Leben und Besitz retten. Doch wann und wie lange halten Deiche? Marco Öttl, Doktorand an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) Mosbach, untersucht dies in seiner Forschung.
„Probabilistische Bemessung von Flussdeichen unter Berücksichtigung zeitabhängiger Belastungsstrukturen“ lautet der etwas sperrige Titel seiner Doktorarbeit, die er in Kooperation mit der TU Dresden schreibt. „Wir werden Hochwasserereignisse nicht verhindern können, aber mit cleveren Methodiken das Ausmaß und Schadenspotential reduzieren“, ist sich Öttl sicher. Sein Forschungsprojekt steht noch am Anfang, doch ihm ist es ein Anliegen, dass die verheerenden Folgen der Hochwasserereignisse des vergangenen Jahres im Grenzgebiet von Deutschland, den Niederlanden und Belgien sowie in Bayern und Sachsen das Hochwasserrisikomanagement zu einem Thema des öffentlichen Interesses entwickeln. Im Video erklärt er, das meist mehrere Faktoren die Sicherheit von Deichen beeinflussen.
Bei der Analyse der Standsicherheit von Flussdeichen sind die Wechselwirkungen zwischen der Belastungsgröße des Hochwasserstandes und der daraus resultierenden Durchsickerung ein Prozess von hoher Relevanz. Schließlich trennt die Sickerlinie die Querschnittsfläche in den wassergesättigten und ungesättigten Querschnittsanteil. Bei stationärer Betrachtung wird die Lage der Sickerlinie in homogenen Deichen durch die äußere Kubatur in das System eingeprägt und liegt für reale Hochwasserereignisse weit auf der sicheren Seite. Die Berücksichtigung zeitabhängiger Belastungsstrukturen im Rahmen einer instationären Betrachtung zeigt jedoch deutlich, dass die Lage der Sickerlinie vom zeitlichen Verlauf der Hochwasserganglinie, den daraus resultierenden Wassergehalts- und Saugspannungen im Deich sowie der gesättigten Durchlässigkeit der Deichbaumaterialen abhängt.
Die Charakteristik der Ganglinie findet allerdings in der derzeitigen Bemessungspraxis nach DIN 19712 und DWA-M-507 keine direkte Anwendung. So wird beispielsweise die resultierende Einstaudauer einer Hochwasserganglinie nur indirekt berücksichtigt. Mit diesem Beitrag wird eine Methodik im Allgemeinen vorgestellt, die für einen ausgewählten Deichabschnitt natürliche Abhängigkeitsstrukturen durch synthetisch erzeugte Bemessungsganglinien in der probabilistischen Bemessung quantifiziert und direkt in den geohydraulischen Prozess der Durchsickerung integriert. Unter Verwendung ausgewählter Wasserstands- und Abflusszeitreihen an einem Deichabschnitt können mithilfe der erweiterten Hochwassermerkmalsimulation nach MUNLV, Hochwasserwellen anhand von fünf Parametern beschrieben werden. Nach erfolgreicher Anpassung geeigneter Verteilungsfunktionen werden im nächsten Schritt Abhängigkeiten der Parameter mithilfe von Copula-Funktionen quantifiziert. Anschließend werden durch die Kombination der Parameter und deren Abhängigkeiten beliebig viele synthetische Hochwasserganglinien generiert. Nach dem Prinzip der Monte-Carlo-Simulation führt eine ausreichend große Anzahl synthetischer Ereignisse dazu, auch extreme Ereignisse mit geringer Eintrittswahrscheinlichkeit gut abzubilden. Durch eine entwickelte Routine kann der Verlauf der Durchsickerung für die jeweiligen Hochwasserganglinien zu unterschiedlichen Zeitpunkten in einem instationären, geohydraulisch numerischen Modell simuliert und visualisiert werden.
Im Ergebnis lassen sich Aussagen hinsichtlich der Verhaltensmuster der resultierenden Sickerlinien, basierend auf den synthetischen Bemessungsganglinien, ableiten und prognostizieren. Diese werden einer Zuverlässigkeitsanalyse zugeführt und ermöglichen somit eine probabilistisch gestützte Bewertung der Standsicherheit des Deichabschnitts.
Weitere Informationen unter: https://www.mosbach.dhbw.de/forschung-transfer/kooperative-promotion/#panel-12680-1864