Der Einsatz von Kilobots
Die Produktions- und Logistikprozesse der Unternehmen befinden sich in Zeiten von Industrie 4.0 und Internet der Dinge im Umbruch. Während viele Prozesse heutzutage zentral geregelt werden, liegt die Steuerung bald dezentral in intelligenten Netzen und autonomen Systemen: Werkstücke tragen die Informationen in Chips mit sich, Produkte werden intelligenter und tauschen Informationen untereinander und mit den Menschen aus.
Diese sogenannte vierte industrielle Revolution begleitet das Kompetenzzentrum "Fertigungs- und Informationsmanagement" (FIM) der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) Mosbach bereits seit Jahren mit einer digitalen Fabrik. Prof. Dr. Christian Kuhn (Elektrotechnik) und Prof. Dr. Alexander Auch (Angewandte Informatik) erklären im Interview, warum sie zur Entwicklung solcher Systeme auf Kilobots setzen.
Wie könnte in der Fabrik der Zukunft konkret der Einsatz von Kilobots bzw. ihren größeren Brüdern ablaufen?
Christian Kuhn: Der aktuelle Trend in der Industrie – Stichwort „Industrie 4.0“ - geht zur Individualisierung der Fertigung bis hin zu Einzelfertigung von Produkten. Das erreicht man unter anderem durch flexible Produktionszellen. Dabei spielt die Intralogistik eine wesentliche Rolle, also der Waren- und Materialfluss innerhalb der Fertigungshalle vom Lager zur Fertigungszelle. Die Individualisierung ist eine große Herausforderung für die Logistik: Es gibt immer mehr Bewegungen, die immer flexibler gestaltet werden müssen. Eine zentrale Steuerung kommt da schnell an ihre Grenzen und ist zu starr und überlastet.
Hier Kilobots einzusetzen ist deshalb sehr spannend, denn in der autarken Steuerung von Materialbewegungen sehe ich die Zukunft der Produktion. Kleine Materialien kann ein Bot alleine übernehmen und transportieren, wobei er aufpasst, dass er nirgendwo anstößt. Wenn ein anderer Kilobot sowieso leer in dieselbe Richtung laufen muss, optimieren die beiden den Ablauf, treffen sich an einer Übergabestelle und sparen Weg und somit Energie. Falls ein Werkstück zu groß ist, können sich die Kilobots wie Ameisen zusammentun und es gemeinsam ausliefern – und zwar selbständig ohne zentrale Steuerung. So funktioniert ein Materialflusses für die individuelle Fertigung, der sich selbst steuert, organisiert und optimiert. Bis dahin ist es noch ein langer Weg, aber mit den Kilobots simulieren unsere Studierenden die ersten Basisprozesse.
Was sind die nächsten Zwischenschritte auf diesem Weg?
Christian Kuhn: Die Kilobots und das Swarm Lab sind eingebettet in unsere forschungsintegrierte Lehre. Schon heute haben wir mit unserem ‚Living Lab‘ eine digitale Fabrik, in der Lehre und Forschung zusammenfließen, um realitätsnah Fertigungsprozesse zu simulieren. Ich könnte mir vorstellen, dass wir hier unseren Materialfluss mit schwarmbasierten Algorithmen verbessern. Kilobots bzw. deren Nachfolger transportieren dann Werkstücke zwischen kollaborativen Robotern. Einzelkomponenten als demonstrationsfähige Versionen könnten möglicherweise in drei bis fünf Jahren entwickelt werden.
Wie werden die Kilobots denn konkret in der Lehre eingesetzt?
Alexander Auch: Meine persönliche Philosophie ist, dass die Studierenden einen Rechner nicht nur auf hoher Abstraktionseben verstehen sollen, auf dem man beispielsweise mit Java Webanwendungen entwickelt. Dort spielt ein Megabyte mehr oder weniger keine Rolle. Bei den Kilobots müssen die Studierenden mit sehr kleinem Speicherplatz auskommen und mit CPU-Beschränkungen, wie man es analog auch in der Automotive-Industrie kennt, in der Embedded-Geräte programmiert werden. Wer sich mit Kilobots beschäftigt, versteht allgemein besser die Grundlagen von Rechner-Architektur, wie man eingeschränkte Systeme programmiert. Gleichzeitig halte ich die Kilobots für spannender als viele andere Anwendungen in diesem Bereich, für die ich vielleicht nur eine LED ansteuern muss.
Wir setzen die Kilobots vor allem für Studienarbeiten ein. Die Studierenden beginnen beispielsweise mit einfachen Algorithmen wie dem Nachverfolgen eines Leitroboters, Räuber-Beute-Verhalten oder dem Verhalten von Vogelschwärmen, die mittels einfacher Regeln Abstand und Richtung untereinander koordinieren. Wie auch in der Natur ist die Idee, mit relativ begrenzter Rechenleistung komplexes Verhalten zu erzeugen.
Was steckt technisch in so einem Kilobot?
Auch: Jedes Smartphone hat wesentlich mehr Rechenleistung als ein einzelner Kilobot. Es ist eine einfache CPU, die mit 8 Megahertz läuft, dazu 32 Kilobyte Flash-RAM, und 2 Kilobyte Hauptspeicher. Damit funktioniert die gesamte Programmlogik. Daher kommt auch die bereits erwähnte Beschränkung, auf die wir beim Programmieren aufpassen müssen.
Hier profitieren wir davon, dass wir an der DHBW Mosbach sehr eng fächerübergreifend arbeiten. Wir möchten noch in diesem Jahr das Design der Kilobots erweitern, um komplexeres Verhalten zu ermöglichen. Da nutzt uns die Expertise der Mechatronik und Elektrotechnik, die das Projekt im Bereich Platinenlayout und –herstellung unterstützen.
Welche Pläne stehen auf der Wunschliste für die Weiterentwicklung?
Alexander Auch: Bei mir hat das Gyroskop hohe Priorität, ein Kreiselstabilisator. Damit kann der Kilobot seine Lage erkennen und selbständig die Neigung ausgleichen, wenn er später einmal auf Rädern steht. Das macht ihn schneller, präziser in der Drehung und lässt ihn geradlinig laufen.
Christian Kuhn: Außerdem wünsche ich mir Verbesserungen in der Sensorik, die die Lokalisation der Bots erlaubt. Das kann ein GPS-Chip sein oder besser eine Lokalisation mit der Bluetooth-Beacon-Technologie. Das ist ein aktueller Trend in der Indoor-Navigation, zu dem wir bereits Studienarbeiten in der Elektrotechnik hatten. Da fehlt es derzeit noch an der Präzision der Technologie und der Algorithmik, aber es ist definitiv eine Zukunftsanwendung. Eine klassische Erweiterung für Bots ist außerdem die Sensorik. Mit je mehr Sensoren wir die Bots ausstatten können, desto besser können sie sich selbst steuern. Das Thema hat viele Schnittstellen zum ‚Internet der Dinge‘, für das bereits viele Komponenten, Methoden und Sensoren erschaffen wurden. Wir können also in Zukunft wesentlich bessere Funktionen implementieren.
Über die technischen Möglichkeiten der Kilobots lesen Sie mehr in Teil 1 des Interviews.
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