„Die Hälfte des Internets ist Psychologie“ oder: Orientierungshilfe im digitalen Dschungel

Podcasts boomen – das „Radio auf Abruf findet immer mehr Fans. Beliebt sind dabei auch Geschichten aus der Wissenschaft. Diese spielen seit einem Jahr im Podcast „achwas.fm“ die Hauptrolle, der von dem Psychologen Professor Thomas Wirth von der DHBW Mosbach und seinem Mitstreiter, dem Datenwissenschaftler Hans-Werner Klein, produziert wird. Die beiden Digital-Experten erzählen dort „Geschichten hinter den Pixeln“. Sie bieten damit Orientierungshilfe in einer Welt, die immer schneller digital transformiert wird. Wurst, Feuer und Exkremente sind Thema der 40. Jubiläumsfolge der Geschichten hinter den Pixeln („Die bizarre Welt der Shitstorms“). Die zwei Autoren und Erzähler im Interview.

Herr Wirth, Herr Klein – was hat der Eiffelturm in Paris mit E-Mails aus Nigeria zu tun?

Thomas Wirth: Der für die Weltausstellung 1889 gebaute Eiffelturm sollte zunächst nicht für immer stehen bleiben. Als ein Abbau diskutiert wurde, verkaufte der Hochstapler Victor Lustig den Eiffelturm an einen sehr leichtgläubigen Schrotthändler. Dessen Frau war misstrauisch und warnte ihn, aber er tappte in die Falle und verlor viel Geld. Ähnliches funktioniert auch heute: Viele Menschen haben schon E-Mails von merkwürdigen Leuten aus Nigeria bekommen. Diese bitten in einer finanziellen Angelegenheit um einen kleinen, aber durchaus lukrativen Gefallen. Die Mails sind oft derart schlecht formuliert, dass viele Menschen sofort erkennen, dass sie über den Tisch gezogen werden sollen. Das ist Absicht! Denn so finden die Betrüger – mittlerweile eine ganze Industrie – viel leichter genau die Arglosen, die ihnen dann tatsächlich auf den Leim gehen. Über die Hintergründe sprechen wir in Folge 18 unseres Podcasts.

Was steckt hinter Ihrer Idee, mit dem wöchentlichen Podcast achwas.fm „die Geschichten hinter den Pixeln“ zu erzählen?

Hans-Werner Klein: „Das Internet ist für uns alle Neuland“, hat Angela Merkel mal 2013 gesagt und damit viele Lacher produziert. Tatsächlich ist unsere Welt sehr viel länger in einer intensiven digitalen Transformation, die viele Menschen nicht mehr überblicken können. Wir bewegen uns in einer elektronischen vernetzten Landschaft, in der wir gar nicht genau wissen, wie wir uns richtig verhalten sollen und wo Gefahren lauern. Unsere Podcast-Folgen erklären zum Beispiel, warum bestimmte Dinge im digitalen Dschungel passieren und wie wir dabei manipuliert und instrumentalisiert werden. Wir verbinden Psychologie mit Zahlen, Daten und Fakten und bringen so Licht ins Dunkel.

Wer ist Ihre Zielgruppe?

Klein: Alle neugierigen Menschen, die diese Thematik interessiert und die mal hinter den „digitalen Vorhang“ schauen wollen. Unter unseren Zuhörenden sind Ältere, die Zusammenhänge verstehen wollen, ebenso wie junge und „digital affine“ Studierende. Wir wenden uns aber auch an Lehrerinnen und Lehrer oder die Eltern von Jugendlichen, die an ihr Smartphone „angewachsen“ scheinen. Auch die sollten mehr davon verstehen, was da gerade geschieht.

Wenn man Ihren Podcast hört – was weiß man dann hinterher, was man vorher nicht wusste?

Wirth: Man hat etwas mehr Durchblick. Es passieren manchmal Dinge, die uns merkwürdig erscheinen, wie die Mails aus Nigeria. Oder wir müssen eigenartige Entscheidungen treffen und Umwege machen, um Angebote nutzen oder unsere Ziele erreichen zu können. Dass das oft Überredungs- oder Manipulationsversuche sind, dass es gefährlich wird oder Menschen ganz gezielt sogar süchtig gemacht werden sollen, sieht man nicht auf den ersten Blick. Wir klären über diese Dinge im Podcast verständlich auf. Wir beschäftigen uns in unserem Berufsleben seit mehr als 20 Jahren damit.

Haben Sie unter Ihren bislang 40 Folgen Lieblings-Podcasts?

Klein: Die ersten beiden Folgen gefallen mir deshalb besonders gut, weil sie so etwas wie die Grundlage unseres Tuns bilden. Zum einen geht es um den Skandal mit der Firma Cambridge Analytica 2014. Diese Firma konnte für den Wahlkampf von Donald Trump auf die Daten von 87 Millionen Facebook-Nutzer zurückgreifen, an die sie durch eine App für Persönlichkeitstests kam. Diese Daten wurden dann für gezielte persönliche Ansprachen genutzt. In der zweiten Folge geht es um moderne Fährtensucher: Wir erklären, wie man aus Standort, Zeit und offenen Daten, die viele Smartphones automatisch preisgeben, persönliche Informationen „ernten“ kann.

Dass zwei Wissenschaftler einen Podcast machen, ist eher ungewöhnlich. Wieviel Vorbereitung steckt in achwas.fm?

Wirth: Wir haben vorab viel geprobt. Ein Podcast ist etwas anderes als eine Vorlesung oder ein öffentlicher Vortrag. Wir mussten erstmal „sprechen lernen“, also den typischen Dialog proben, den wir „on air“ dann halten. Sich nicht unterbrechen, nicht ausufernd zu werden, den jeweils anderen mit seinem Wissen ins Spiel bringen … dazu kam natürlich die technische Vorbereitung, der Aufbau der Webseite, das Schneiden der Podcasts. Und zu den einzelnen Themen bereiten wir uns inhaltlich oft lange vor.

Herr Wirth, Sie sind seit 15 Jahren Professor für Digitale Medien an der DHBW Mosbach, aber Sie sind auch Psychologe. Wieviel Psychologie steckt im Internet?

Wirth: Meinen Studierenden sage ich immer: Das Internet besteht zur Hälfte aus Programmierung und zur Hälfte aus Psychologie. In unserem Studiengang Onlinemedien, in dem ich mit meinem Kollegen Arnulf Mester lehre, bringen wir unseren Studierenden ganz bewusst beide Seiten bei. Wer unseren Podcast hört, erfährt natürlich mehr über die psychologische Seite, aber auch etwas über die technischen Zusammenhänge, die dahinterstecken.

Herr Klein, als Data Scientist suchen Sie nach Informationen und Mustern in der riesigen Datenflut. Ist es grundsätzlich besorgniserregend, was Sie da finden?

Klein: Besorgniserregend finde ich manchmal, wenn mir die Steuerung der Menschen im Netz durch Algorithmen – also Berechnungsverfahren – begegnet, oder wenn mir bewusst wird, wie wir dazu bewegt werden, etwas anzuklicken, zu kaufen oder preiszugeben. In einer Podcast-Folge haben wir deshalb dargestellt, mit welchen Tricks und Kniffen Menschen dazu gebracht werden, immer weiter zu klicken. Die wundern sich dann manchmal, wieso sie nicht vom Bildschirm loskommen, wie das überhaupt passieren kann. Wir erklären es.