Kleiner Würfel – großes Potenzial
Weltraumexperte Prof. Dr. Klaus Schilling referierte im Rahmen der Akademischen Jahresfeier der DHBW Mosbach über die rasante Entwicklung bei Kleinsatelliten
Erstveröffentlichung: Rhein-Neckar-Zeitung, 24.06.2023
Das Interesse am Weltall ist groß. China plant in den nächsten Jahren eine bemannte Mondmission und eine Forschungsstation, und auch die NASA hat mit Artemis ein Mondfahrtprogramm vorgestellt. Im August 2023 lieferten sich Russland, Indien und Japan einen Wettlauf mit unbemannten Mondsonden. Dass der Wettlauf ins Orbit lukrativ ist, verriet Weltraumexperte Prof. Dr. Klaus Schilling in seinem Vortrag über Kleinsatelliten.
Internet, Mobiltelefonie, Navigation, Wettervorhersage – all das würde ohne Satelliten nicht funktionieren. Mehrere Tausend dieser Flugkörper umkreisen heute die Erde. Vor allem Kleinsatelliten erleben gerade eine rasante Entwicklung, man denke nur an das Starlink-Projekt von Milliardär Elon Musk, für das in den vergangenen Jahren mehr als 3000 Minisatelliten in Kühlschrankgröße ins All geschossen wurden.
Wie die neue Generation der Satelliten für Telekommunikation, Navigation und Erdbeobachtung eingesetzt werden kann und welches wirtschaftliche Potenzial in der kommerziellen Raumfahrt steckt, erläuterte Professor Klaus Schilling, Vorstand des Zentrums für Telematik (ZFT) in Würzburg, am 21. Juni 2023 an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) Mosbach. Sein Vortrag mit dem Titel „Aus dem All für den Alltag“ stand im Mittelpunkt der Akademischen Jahresfeier, zu der Mitglieder, Angehörige und Unterstützer der DHBW eingeladen waren.
Mitschnitt des Vortrags
„Im Moment vollzieht sich ein Wettlauf im Orbit“, sagte der mehrfach ausgezeichnete Weltraumexperte. „Die Wachstumsprognosen schlagen alles Bekannte.“ Vorhersagen gehen davon aus, dass die Raumfahrt im Jahr 2040 den zehnfachen Umsatz der heutigen Automobilindustrie machen wird. Aktuell sei das Wachstum der Satellitenanzahl viermal so hoch wie noch vor zwei Jahren vorhergesagt.
Dank Miniaturisierung werden Satelliten immer kleiner, die gleiche Funktionalität wird auf weniger Raum untergebracht. Das senke Kosten, wenn die Satelliten per Rakete in die Umlaufbahn gebracht werden. „Statt weniger großer Satelliten gibt es nun viele kleine, die zusammenarbeiten“, erklärte Schilling. „Das ist ähnlich wie bei der Entwicklung vom Zentralcomputer hin zu den Handys in der Cloud.“ Zur Veranschaulichung hatte er einen Kleinsatelliten mitgebracht: einen schwarzen Würfel mit einer Kantenlänge von zehn Zentimetern.
In einem Video zeigte der Experte, wie Kleinsatelliten am ZFT von Hand zusammengebaut werden: „Das ist keine Raketenwissenschaft, man steckt sie einfach zusammen wie bei einem Lego-Baukasten.“ Weil es keine Kabel, sondern nur Steckverbindungen gibt, können das später einmal Roboter machen. Dann sei eine Serienproduktion möglich, so das Ziel. Schon heute kleben Roboter Solarzellen auf die Seitenpaneelen. Früher seien beim Anbringen von Hand hin und wieder Solarzellen zerbrochen, erzählte Schilling. „Seit die Roboter diese Arbeit übernommen haben, gibt es kaum noch Ausschuss.“
Im Orbit werden die Satelliten mit einem sogenannten Reaktionsrad auf Beobachtungsziele gedreht; ihre Umlaufbahn können sie durch den Antrieb ändern, bei dem Treibstoff mit hoher Geschwindigkeit ausgestoßen wird. So konnte ein Würzburger Kleinstsatellit eine Kollision mit einem ausgefallenen großen Satelliten verhindern. Mit nur drei Gramm Treibstoff pro Jahr lassen sich Kleinsatelliten in Formation halten.
Die Satelliten sollen künftig nicht nur in schnelleren, erdumfassenden Telekommunikationsnetzen (Internet der Dinge) eingesetzt werden. Möglich seien auch Erdbeobachtungen, etwa um bei Waldschäden rechtzeitig erkennen zu können, wann eine Bewässerung erforderlich ist. Kleinsatelliten können außerdem bei der Klimavorhersage helfen: „Mit Computertomografie-Methoden können wir in das Innere von Wolken schauen“, erklärte Schilling. Dafür erfassen mehrere Satelliten das Rückstreulicht der Sonne, woraus scheibchenweise ein Bild aufgebaut werde. So lasse sich der Wassergehalt der Wolke analysieren. Außerdem können feine Partikel im Wolkeninnern erfasst werden, was zu globalen Messdaten der Umweltverschmutzung beitragen könne.
Die vielen Fragen der Zuhörer im Anschluss an den Vortrag zeugten von großem Interesse. Eine davon: Wem gehört der Weltraum? „Das ist ein bisschen Wilder Westen“, lautete Schillings Antwort. Lediglich Telekommunikationsfrequenzen müssen genehmigt werden, ansonsten gebe es keine Autorität, die etwa die Umlaufbahn von Satelliten festlegt. „Wir haben viel Platz im All, aber man bräuchte Verkehrsregeln und Kontrollstrukturen.“ Weil es die nicht gibt, könne sich auch immer mehr Weltraumschrott ansammeln.
Alte Satelliten aus dem ZFT solle man später im Orbit nicht finden: „Unsere Kleinsatelliten nutzen am Ende ihrer Laufzeit den verbleibenden Treibstoff, um auf Absturzkurs zu gehen. Sie machen ihren Platz wieder frei.“ Beim Eintritt in die Erdatmosphäre verglühen die kleinen Flugkörper. Schilling plädierte dafür, dass Unternehmen nachhaltiger im Weltall agieren, und warnte: „Wir müssen vorsichtig sein, um die Ressource Weltraum für künftige Generationen nicht zu vergeuden.“