Weniger Neubau, mehr Sanierungen und Modernisierungen
Bauingenieur Prof. Dr.-Ing. Markus Koschlik im Interview zu nachhaltigem Bauen
Prof. Dr.-Ing. Markus Koschlik lehrt seit 2019 als Professor im Bauingenieurwesen an der DHBW Mosbach. Das Thema Nachhaltigkeit begleitet er beruflich bereits seit langem, promovierte beispielsweise zum Thema „Verfahren zur ganzheitlichen Nachhaltigkeitsintegration bei öffentlichen Baumaßnahmen im In- und Ausland“ am Institut für Baubetrieb der Universität der Bundeswehr München und arbeite in der Nachhaltigkeitsberatung bei einer Unternehmensberatung. Im RNZ-Gespräch
Herr Koschlik, was ist für Sie Nachhaltigkeit, wie sieht nachhaltiges Handeln und Leben aus?
Nachhaltigkeit beschreibt das Bestreben, alle vorhandenen Schutzgüter,wie unsere begrenzt verfügbaren Ressourcen, die Umwelt, dieökonomische Leistungsfähigkeit, die menschliche Gesundheit, aber auch soziale und kulturelle Werte zu bewahren. Dabei werden alle Wechselwirkungen untereinander berücksichtigt und nicht –wie etwa beim Greenwashing –nur einzelne besonders positive Aspekte hervorgehoben.Und echte Nachhaltigkeit kannauchimmer nur dann entstehen, wenn sie aus einer inneren Überzeugung heraus realisiert wird.2.Ihr Fachgebiet ist ja das Bauen. Wie baut man nachhaltig? Eigentlich werden doch beim Bauen immer Unmengen an Energie und Rohstoffen verbraucht ...Die deutsche Bauwirtschaft verbraucht branchenübergreifend betrachtet in der Tat die meisten Rohstoffe und verursacht später mit mehr als 50 % den mit Abstand größten Teil des Abfallaufkommens.Gerade deshalb ist dieBaubranche in der Pflicht, die eigenen Prozesse und Produkte ständig zu verbessern. Und hier passiert aktuell auch sehr viel: Die Brancheist im Umbruch und die Art wie geplant wird und auf welcher Basis Projektentscheidungen getroffen werden,wird sich im Vergleich zu„früher“noch stärkerverändern.Die Digitalisierung wird hier einen großen Beitrag leisten.
3.Man muss die Dinge ja meist individuell betrachten. Lässt sich die Frage: „Lieber ein älteres oder sogar sehr altes Haus sanieren oder es durch einen Neubau ersetzen?“ dennoch einigermaßen allgemeingültig beantworten?
Ja, die Frage kann klar beantwortet werden. Weniger Neubau, mehr Sanierungenund Modernisierungen. In den bestehenden Gebäuden steckt so viel graue Energie, also Energie, die für das Gewinnen der erforderlichen Rohstoffe, die Weiterverarbeitung zu Bauteilen, das Transportieren und den Einbau benötigt wurde. Diese Energie solltegrundsätzlich nicht verschwendet werden, indem die Gebäude abgerissen werden oder indem man für Neubauprojekte neue Flächen in Anspruch nimmt, die bisher nicht versiegelt waren.Sicherlich gibt es auchSzenarien, in denen ein Neubau geeignetersein kann, als ein Bestandsprojekt. Beim Neubau sind insbesondere die frühen Planungsphasen entscheidend, um mithilfe geeigneter Variantenuntersuchungen nachhaltige und klimaverträgliche Projekte realisieren zu können.
Haben Sie denn gebaut? Und wenn ja, wie?
Ich habe nicht gebaut, sondern ein rund 20 Jahre altes Bestandsgebäude gekauft. Bei der Planung und dem Bau wurden damals schon einige sehr wichtige Aspekte des nachhaltigen Bauens berücksichtigt, wie beispielsweise die Nutzung des Regenwassers, eine hohe Flächeneffizienz oder die Verwendung gut trennbarer und langlebiger Materialien. Die Energie wird allerdings noch von einer Brennwerttherme bereitgestellt, an dieser Stelle steht demnächstder Wechsel zu einer Wärmepumpe an.
Nun sind wegen der Energiekrise ja alle möglichen Formen des Einsparens (auch in Bestandsgebäuden) in der Diskussion.
Es wurden bereits seit mehreren Jahrzehnten immer strengere Wärmeschutzverordnungen bzw. Energieeinsparverordnungen erlassen und die entsprechenden Maßnahmen auch umgesetzt. Im Ergebnis wird heute pro Quadratmter Fläche natürlich deutlich weniger Energie benötigt als in den 70er Jahren. Der Fokus lag bisher aber ausschließlich auf der Steigerung der Energieeffizienz.Gleichzeitig ist der Wohnflächenbedarf immer mehr gestiegen, sodass in der Summe der Energiebedarf pro Person gleichgeblieben ist–und das seit ca. 50 Jahren. Das Stichwort lautet „Suffizienz“: Wir als Gesellschaft müssen also unser Nutzerverhalten überdenken und in vielen Bereichen wieder das richtige Maß finden.Ansonsten gibt es Reboundeffekte, die dem Bestreben nach Nachhaltigkeit entgegenwirken.
Und was kann der Hausbesitzer denn jetzt selbst mit seinem mäßig energieeffizienten Bestandshaus machen?
Im Bestand gibt es deutlich weniger Möglichkeiten, als beim Neubau. EinSchwerpunkt bleibt hier auch weiterhindie Effizienzsteigerung: Dämmung, wenn nicht zeitgemäß –aber hier gut trennbare und später auch recycelbare Lösungen wählen. Gebäudetechnik gegebenenfalls erneuern;über Photovoltaik, Solarthermie oder die Kombination nachdenken (PVT);auch mal wieder einen hydraulischen Abgleich durchführen.Und natürlich das eigene Nutzerverhalten überdenken: Können die persönlichenKomfortgrenzen vielleichtetwas verschoben und nicht mehr alle Flächen vollumfänglich konditioniert werden?7.Welche Rolle spielen die Materialien beim Bauen und Sanieren? Sind natürliche Materialien über den gesamten Lebenszyklus gesehen nachhaltiger als synthetische?Die Materialien spielen eine ganz wesentliche Rolle bei einer ganzheitlichen Betrachtung. Zum einen bestimmen sie zusammen mit dem Energiebedarf aus der Nutzungsphase die Ökobilanz eines Gebäudes maßgeblich. Weshalb das neue Gebäudeenergiegesetz diese grauen Energien aus der Konstruktion noch nicht berücksichtigt, ist mir ehrlich gesagt ziemlich schleierhaft. Zum anderen sind die Materialien aber auch entscheidend für die Gesundheit der späteren Nutzer und für die mögliche Weiterverwendung am Ende des Lebenszyklus.Eine pauschale Bewertung natürlicher oder synthetischer Materialien möchte ich nicht vornehmen, das geht nur mithilfeeiner detaillierten Betrachtung.
Wer über seinen ökologischen Fußabdruck nachdenkt, lässt das Auto stehen, fliegt seltener oder lebt vegan. Doch auch Wohnen verbraucht CO2. Wie groß ist denn der Anteil?
In einer Veröffentlichung des BBSR aus dem Jahr 2020 wurden die CO2-Emissionen der Wohn-und Nichtwohngebäude in Deutschland bilanziert. Dabei hat sich ergeben, dass durch Herstellung, Errichtung, Modernisierung, Nutzung und Betrieb der Wohn-und Nichtwohngebäude insgesamt ca. 40 % aller CO2-Emissionen verursacht werden. Das entspricht einem Fußabdruck von 398 Mio. Tonnen CO2-Äquivalenten pro Jahr. Der größte Treiber sind hierbei Nutzung und Betrieb mit 297Mio. Tonnen CO2-Äquivalenten pro Jahr. Wohnen macht mit knapp 70 % den größten Anteil aus.
Was tut sich in der Region beim Thema nachhaltiges Bauen?
Es tut sich sehr viel. Nachhaltigkeit spielt mittlerweile bei fast allen Projekten eine wichtige Rolle. Das gilt für öffentliche Baumaßnahmen, bei denen die Anwendung des Bewertungssystems Nachhaltiges Bauen verpflichtend ist (Baumaßnahmen des Bundes)oder empfohlenwird(Baumaßnahmen der Länder und Kommunen); aber es gilt natürlich auch für diePrivatwirtschaft. Man kann das sehr gut an der jährlich steigenden Anzahl zertifizierter Gebäude ableiten. Vor kurzem war ich erst an einem Investorenauswahrverfahren für ein größeres Bauvorhaben in der Region beteiligt, bei dem verschiedene Nachhaltigkeitsaspekte die Vergabeentscheidung maßgeblich beeinflusst haben. Projekte ohne die Berücksichtigung der Nachhaltigkeit sind heute nicht mehr denkbar.
Wie und warum kamen Sie zum Thema Nachhaltiges Bauen?
Zum ersten Mal so richtig konkret habe ich mich mit dem Thema Nachhaltigkeit ungefähr im Jahr 2010 beschäftigt, als ich erstmals Fortbildungen der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen besucht habe. Die Tragweite der Themen und die großen Herausforderungen, diedamals schon genannt wurden und die jetzt auch immer relevanter werden, wie zum Beispiel KlimawandelundRessourcenschonung, haben mich fasziniert und gleichzeitig auch ziemlichnachdenklich werden lassen. Seither zieht sich Nachhaltigkeit wie ein roterFaden durch mein Leben. Besonders begeistert hat mich in meinem bisherigen Berufsleben die Erkenntnis, dass man mit häufig sehr einfachen Mitteln Bauvorhaben auch wirklich nachhaltiger gestaltenkann, ohne großen Mehraufwand oder Mehrkosten. Nachhaltigkeit und die hierfür bereits bestehenden Methoden oder auch die Entwicklung ganz neuer und innovativer Methoden sind meines Erachtens derHebel schlechthin, um Bauprojekte besser zu machen. Diese Erkenntnis hat mich von Anfang an motiviert und ich lassesie seitdem bei den Projekten, an denen ich mitwirke, einfließen. Und vor allemmöchte ich auch ein Multiplikator für die Studierenden meiner Hochschule sein.
Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit im Studium Bauingenieurwesen?
Was ist für die Zukunft geplant?Nachhaltigkeit spielt eine sehr große Rolle und wird durch unsere Präsidentin auch zurecht stark priorisiert. Die DHBW erarbeitet gerade eine zentrale Nachhaltigkeitsstrategie, die für alle Standorte die Grundlage für zukünftige Entwicklungen sein wird. In Mosbach selber wurde vor kurzem ein weiterer Schwerpunkt „Nachhaltiges Bauen“ für den Studiengang Bauingenieurwesen beantragt. Darüber hinaus startete dieses Jahr der neue Masterstudiengang Bauingenieurwesen mit mehreren Modulen zum nachhaltigen Bauen. Außerdem freue ich mich sehr, dass ich Ende letzten Jahres eine Hochschulkooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) begründen konnte und bereits mehr als 50 Studierende dadurch eine Zusatzqualifikation im Bereich des nachhaltigen Bauens erlangt haben.