Prof. Dr. Paul Kirchhof zu Gast beim Mosbacher Bildungsgespräch im Audimax der DHBW
Aufruf zu „neuer Verantwortlichkeit“ und gegen das „Vermummungsverbot“ in sozialen Netzwerken
Kommt jemand zum Mosbacher Bildungsgespräch mit Prof. Dr. Paul Kirchhof aus Heidelberg oder würde der Audimax in der DHBW Mosbach so gut wie leer sein? Diese Frage stellte sich den Veranstaltern und Organisatoren angesichts der sich überschlagenden Ereignisse um die Ausbreitung des Coronavirus. Bereits im Vorfeld hatten sich an die 170 Personen zu Kirchhofs Vortrag „Demokratie und Freiheit - Geschenk und Auftrag“ angemeldet. Das Interesse blieb auch am Ende sehr hoch und so fand die Veranstaltung in einem voll besetzten Saal statt.
Und man hatte sich gerüstet: Gleich am Eingang waren Handdesinfektionsflaschen in ausreichender Zahl aufgestellt worden. Richard Zöller, Mitorganisator und Mitglied im Arbeitskreis Bildung, hatte eingangs auf Vorsichtsmaßnahmen hingewiesen und danach nahm die Veranstaltung in gewohnt gut organisierter Manier ihren Gang. Dass in der von Gabriela Fischer-Rosenfeld moderierten Veranstaltung prominente Redner den Weg nach Mosbach finden, ist nichts Neues. Unter die prominenten Rednerinnen der letzten Jahre wie Wissenschaftsministerin Theresia Bauer, Landtagspräsidentin Muhterem Aras und Kultusministerin Susanne Eisenmann reihte sich nun der ehemalige Bundesverfassungsrichter Prof. Kirchhof ein. Der emeritierte Lehrstuhlinhaber in Heidelberg, Jurist für das Verfassungs- und Steuerrecht, war nun der Redner beim zehnten Bildungsgespräch. Dieses „kleine Jubiläum“ passt vorzüglich zu einem größeren, nämlich dem vierzigjährigen Bestehen der DHBW Mosbach. Und vom musikalischen Jubilar des Jahres, Ludwig van Beethoven, dessen 250. Geburtstag in diesem Jahr gefeiert wird, spielte Jörg Beyerlin am Klavier zur musikalischen Umrahmung unter anderem ein kleines Menuett.
Zöller lobte an die Adresse von Professorin Dr. Gabi Jeck-Schlottmann, Rektorin der DHBW, gerichtet ausdrücklich die gute Zusammenarbeit des Arbeitskreises Bildung mit der Dualen Hochschule Mosbach. Die Gastgeberin freute sich ihrerseits auf den Vortrag des weithin bekannten Referenten, der nach ihren Worten immer wieder thematisch „heiße Eisen“ anpacke. Kein Wunder, dass sich auch prominente Gäste in der Zuhörerschaft fanden, darunter beispielsweise der Mosbacher Landgerichtspräsident Reiner Hettinger oder Minister Peter Hauk.
Kirchhof verwies in freier Rede auf die Bedeutung bei der Gestaltung unserer Wirklichkeit durch Bildung. Wobei er im Verlauf der sich anschließenden Diskussion präzisieren sollte, dass für ihn im Bildungsauftrag immer auch ein Erziehungsauftrag mit angelegt sei. Er beleuchtete den Begriff der Freiheit unter anderem vor dem Hintergrund der Digitalisierung. Auf diesem Feld geht es für ihn darum, eine „gemeinsame Idee des Friedens“ zu entwickeln. So hätten Weltkonzerne, die alleine den Gesetzen des Marktes unterworfen seien und auf Grund von Algorithmen bestimmen würden, was wir essen und wie wir fahren, dazu genau genommen keine demokratische Legitimation. Im Zusammenhang mit den sozialen Medien, die am Leitbild der Anonymität orientiert seien, sprach er von einer „organisierten Unverantwortlichkeit“, für die Vermummung sozusagen ein „Geschäftsprinzip“ sei. Denn Freiheit bedeute bisher, dass zwar jeder sagen kann, was er will. Dafür stehe das Individuum aber mit seinem Gesicht und ist als Person erkennbar. Für dieses Prinzip der Freiheit gelte schließlich ein gesetzliches „Vermummungsverbot“. Deshalb bräuchten wir eine neue Verantwortlichkeit.
Wenn Kirchhof das Schlagwort Künstliche Intelligenz hört, wir ihm „angst und bange“. Denn seiner Meinung nach ist nur der Mensch intelligent. Die Maschine übernehme schließlich keine „Verantwortlichkeit“. Natürlich sei die Maschine dem Menschen auf bestimmten Feldern überlegen. Aber im gesamten Friedens- und Rechtsleben gehe es immer um die Frage der „Verantwortlichkeit“. Er fordert dazu auf, eine „Gesellschaft der Humanität zu organisieren, in der die Maschine dem Menschen dient“. Dabei malt er durchaus nicht nur in Moll und stellt die rhetorische Frage, warum die Politik in 50 Jahren denn nicht ganz auf einen Friedenserhalt ausgerichtet sein sollte. Wer würde dies heute schon wissen? Freiheit sei immer ein Wagnis und ein Angebot mit langfristiger Bindungswirkung, das Vertrauen voraussetze. Jedoch seien Freiheit und Gleichheit nicht schroffe Gegensätze. In der Gesetzgebung gelte es deshalb die Verschiedenheit der Menschen anzuerkennen und das Verhältnis der beiden Pole auszutarieren.
Die Demokratie sei eine „anspruchsvolle Staatsform, die viel Kompromissfähigkeit erfordert“. Die Parlamente als Legislative seien beauftragt, Grundsatzfragen zu entscheiden und die „Feinarbeit“ der Exekutive, also die Spezialisten in den Ministerien übernehmen. Zwar würden „Moses und seine zehn Gebote“ in unserer heutigen komplexeren Welt nicht mehr gerecht werden, aber die Flut der Normen drohe die Gesetzgebung zu ersticken. Im deutschen Bundestag wurden in vier Jahren alleine 452 Gesetze bearbeitet. Damit war er schließlich bei einem Thema, mit dem der Name „Kirchhof“ bis heute verbunden wird, nämlich die Vereinfachung der Steuergesetzgebung. Dass man die Normenflut abbauen müsse, der Meinung ist er weiterhin. Mit einem Schmunzeln antwortete Kirchhof, dass es seiner Ansicht nach nur so viele Normen geben dürfe, wie ein Ministerialrat im Gedächtnis behalten könne“. Dies sorgte auch bei Minister Peter Hauk für Heiterkeit.
Sein neuestes Buch trägt den Titel „Beherzte Freiheit“. Und beherzt skizziert er unsere Verfassung als ein Baummodell. Die Kraft, aus der die Wurzel ihre Ressourcen bezieht, wird gebildet u. a. aus Christenturm, sozialer Aufklärung und Humanismus. Der Stamm sind Freiheit, Gleichheit, Sicherheit und die Verfassungsmäßigkeit. Daraus wachsen die Äste wie etwa Arbeits,- Steuer- und Gesellschaftsrecht. Und die Blätter, die seien das Geld. Sie fallen im Herbst ab, dann sind die Kassen leer und wachsen im Frühjahr mit der Hoffnung, dass sich die Kassen wieder füllen.