Wie Rembrandt ein neues Bild malte
Erstes Expertenforum als Plattform des Kooperationsprojekts „Watch.it“ mit einer geballten Ladung Expertenwissen
Was an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Mosbach (DHBW) Mitte 2018 mit einer Förderzusage durch die Deutsche Bundesbank besiegelt wurde, fand nun seinen ersten, dafür aber umso sichtbareren Ausdruck im Watch.it-Expertenforum: die Kooperation zwischen den Studiengängen Angewandte Informatik und BWL–Bank. Drei Studiengangsleiter und sieben Referenten fragten nach den Möglichkeiten, aber auch Grenzen digitaler Technik aus der Perspektive der Finanzbranche.
Gewissermaßen hervorgegangen aus vier Bankforen hat sich das Bild auch dieses DHBW-Formats gewandelt. Denn in der Finanzbranche ist ein enormer Wandel im Gange. „Watch it – gib’ acht, pass’ auf!” Nicht von ungefähr stand wie ein Wink der englische Imperativ über dem Expertenforum, das am 21. März 2019 Fachleute unterschiedlicher Herkunft im Lohrtal zusammenführte und Antworten suchen ließ auf die Frage: Sind Digitalisierung und Künstliche Intelligenz Heilsbringer? Die leicht abgewandelte Schreibweise – „watch.it“ – lieferte aber zugleich den Hinweis auf den Kern dessen, was hier als Weiterentwicklung jenes Formats verstanden wird, das als Bankforum zuletzt im September 2016 für ein volles Haus und ebenso volles Programm gesorgt hatte.
Prof. Wolf Wössner, Studiengangsleiter BWL-Bank und Initiator des Bankforums, hatte es auch 2019 wieder geschafft, die Referentenliste mit namhaften Experten zu füllen. Neu ist der interdisziplinäre Ansatz, den das an der DHBW von Prof. Wössner, Prof. Dr. Jens Saffenreuther und Prof. Dr. Dirk Saller 2018 initiierte Kooperationsprojekt birgt. Letzterer leitet den Studiengang Angewandte Informatik, in dem rund 60 Studierende der Deutschen Bundesbank das Rüstzeug bekommen für die wichtige Schnittstelle zwischen Finanzbranche und Informationstechnologie. „Wir sind die einzige Hochschule in Deutschland, die sich so dieser Thematik widmet.“ So ist das Expertenforum unter diesem Kooperationsdach entstanden. „Und das ist nur die Spitze des Eisberges“, hatte Wolf Wössner gut 140 Gäste im Audimax begrüßt, denn weitere Veranstaltungen mit neuen Schwerpunkten sind schon geplant. Beides – Forschungsprojekt und Forum – wird von der zentralen Notenbank gefördert, um die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Bank- und Finanzwelt zu untersuchen und zu benennen.
Der Schwerpunkt des Forums 2019 lag auf den „Möglichkeiten und Grenzen neuer Technologien aus der Perspektive von Banken und Bankenaufsicht.“ Schneller, treffsicherer, rund um die Uhr verfügbar und – ist das System erst einmal eingerichtet – im laufenden Betrieb außerordentlich kostengünstig, lauten die Verheißungen, die gerade für die Kreditwirtschaft eine außerordentlich hohe Strahlkraft haben. Bewusst war hinter die Forumsüberschrift „Heilsbringer Digitalisierung und Künstliche Intelligenz?“ ein Fragezeichen gesetzt.
Wo beschaffen sich Entscheider ihre Informationen?
Die Expertin und die sechs Experten, die nach Mosbach geladen waren, wussten das Thema so fachkundig wie kontrovers zu beleuchten. Sie sind nicht alle in der Finanzwelt zuhause, kamen aus den Branchen Social Media, Software und IT-Beratung. Mancher hat seine Karriere als Banklehrling begonnen, wie etwa Prof. Dr. Uwe C. Swoboda, der als DHBW-Kollege aus Stuttgart nach Mosbach gekommen war und verriet, wie die Mediennutzung von Topmanagern deren Entscheidungen beeinflusst. Ganz aktuell konnte Swoboda eine Studie präsentieren, die in Zusammenarbeit „seines“ ZMM (Zentrum für Medienmanagement an der DHBW Stuttgart) mit dem Steinbeis Transferzentrum „Media Management“ entstanden war. „Die ist erst vier Monate alt.“ Es mag erstaunen, aber auf die Frage nach der Wichtigkeit von Informationsquellen setzen die Top-Entscheider „Gespräche“ an die erste Stelle, gefolgt von Websites, E-Mails und Telefon. Soziale Medien spielen als Informationsquelle demnach bei Entscheidungsprozessen eine eher geringe Rolle.
Beim Ranking der Mediengeräte landen Computer und Laptop vor Smartphone und Printmedien auf dem obersten Treppchen. Bei der Internetnutzung kommt Vertrauenswürdigkeit eine zentrale Position zu. Merklich bedeutsamer für Innovationsimpulse der Entscheider sind neben den persönlichen Empfehlungen businesszentrierte Netzwerke und Informationsvideos auf YouTube. Klar sei immer auch, so Prof. Swoboda: „Es muss schnell gehen.“ Und auch klar im allgemeinen Informationsverhalten sei im beruflichen Kontext das Nutzen von Online-Quellen.
Das Fondsgeschäft in Zeiten des digitalen Wandels
Dass eine Vielzahl relevanter Trends den gesamten Banken- und Sparkassensektor beeinflusse, machte Dirk Huppert deutlich. Huppert ist leitender Vertriebsstratege der DekaBank, der sowohl Konzeption als auch operative Umsetzung verantwortet. Die DekaBank ist das Wertpapierhaus der Sparkassen. Schlagwörter wie Fin Techs, Blockchain, Multikanal und Instant Payment bestimmen den Geschäftsalltag. Das bleibt nicht ohne Auswirkungen auf das Fondsgeschäft. Dirk Huppert verbindet damit „Chancen“. Gleichwohl sieht er den Markt durch den Eintritt internationaler Banken, aggressiver Positionierung von Direktbanken und den Ausbau digitaler Angebote etablierter Mitbewerber in Bewegung. An der Schnittstelle zum Kunden gibt es Gedrängel. „Der Kunde möchte weiterhin beraten werden – aber anders“, malte er das Bild von einem abends auf dem Sofa sitzenden Bankkunden, der seine Finanzgeschäfte mit dem Tablet regle. Dazu muss man den Kunden kennen und erreichen. Was wiederum auch andere tun, Giganten wie Amazon oder Alibaba drängten als Branchenfremde ins Finanzgeschäft.
„Wir als Banken drohen an der Schnittstelle zum Kunden zu verlieren“, nimmt Huppert die Herausforderung an. „Wir haben die Daten und müssen den Anschluss finden“, warb er dennoch für einen optimistischen Blick in eine profitable Zukunft. In der (digitalen) Automation sieht man bei der DekaBank einen Weg zur verbesserten Kundenansprache, ein erweiterter, bedarfsgerechter und individualisierter Beratungsprozess. Digitalisierung und Künstliche Intelligenz bilden die Basis. „Statistik ist das A und O.“ Huppert will in den Wettlauf einsteigen, ist es schon, denn der DekaBank soll es nicht so ergehen wie Gottlieb Daimler, der 1901 gesagt habe: „Eine weltweite Nachfrage nach Fahrzeugen wird eine Million nicht überschreiten.“ Statt krasser Fehleinschätzungen tritt das Geldinstitut lieber mit der Parole an: „Unterschätzen Sie die Zukunft nicht. Profitieren Sie davon.“
Große Datentöpfe und wie sie zu nutzen sind
Ob Künstliche Intelligenz „Hype oder mehr“ sei, hinterfragte die einzige Referentin, Britta Daffner, selbst ein DHBW-Gewächs (aus Mannheim). Mittlerweile berät sie im Auftrag des IT-Riesen IBM. „Banken“, sprach sie ihr überwiegend männliches Publikum an, „haben von jeher große Datentöpfe.“ Wer sie am besten verarbeiten, nutzen könne, sei der Gewinner. Und weil man auch bei IBM weiß, dass Menschen das menschliche Gegenüber brauchen, hat man dort auf der Basis der Software „Watson“ digitale Doppelgänger echter Kundenberater geschaffen – zunächst für eine Schweizer Bank.
Die Expertin in der Beratungssparte von IBM erstellte im Audimax eine Road Map für die Herausforderungen, denen sich das Bankgewerbe ihrer Ansicht nach stellen muss. Stichworte sind hier: Kostendruck, branchenexterne Verwerfungen, Informationsverteilung über verschieden Systeme hinweg, Betrugserkennung. Daffners Fazit: „Die Nutzung von KI muss in die DNA eines Unternehmens einfließen und in alle relevanten Prozessen dauerhaft integriert werden.“ Sie fasste es zusammen unter dem Schlagwort: die kognitive Bank. „Angetrieben von Daten, ermöglicht durch exponentielle Technologien, aktiviert durch kognitiv unterstützte Unternehmensabläufe und auf einer sicheren hybriden Cloud-Infrastruktur möchte IBM mit Branchen- und Technologie-Know-how Geschäftsplattformen mitgestalten.“ Prof. Wössner malte das Szenario am Beispiel seines Bankberaters aus: „Der sieht in Zukunft aus wie mein Herr W., aber seine Antworten gibt der digitale Watson-Assistent.“
Erste watch.it-Publikation liegt vor
Wie „neues Banking unter solch disruptiven Entwicklungen“ aussehen kann, das behandelt auch die erste Veröffentlichung, die aus dem interdisziplinären Kooperationsprojekt „watch.it“ hervorgegangen ist. Die gleichlautende, von Uwe C. Swoboda herausgegebene Publikation fasst die interessantesten Arbeiten eines Forschungsseminars von Sechstsemestern an der DHBW Mosbach zusammen, das sich intensiv mit den Möglichkeiten und Grenzen innovativer digitaler Bankkommunikations- und Vertriebskanäle beschäftigt.
Digitalisierung muss breit in die Bildung rein
Thomas F. Dapp hatte schon beim Bankforum 2016 die Zuhörer begeistert. 2019 kam seine ungezwungene und verständliche Art über den „digitalen Strukturwandel“ zu sprechen, ebenfalls bestens an. Nicht zuletzt deswegen, weil er weit über den Bankhorizont hinausblickt: „AI beyond banking“. Er tut es als Leiter des Think Tanks der KfW-Bankengruppe. Dort sei er zwar so etwas wie der Digitalisierungsbeauftragte, verstehe sich selbst aber eher als Kulturbeauftragter, der mit den vor ihm versammelten Frauen und Männer einen weiten (= weiter als 30 Jahre) Blick in die Zukunft warf, in der Mensch und Maschine mehr und mehr verschmelzen würden. Dapps Blick fiel übrigens zunächst in ein Buch, ein echtes Buch mit Deckel und Papierseiten: Yuval Noah Hararis „Homo Deus - eine Geschichte von morgen“. Sie kann als Segen oder Fluch verstanden werden. Bis zum 20. Jahrhundert habe eine klare Trennung zwischen Mensch und Maschine bestanden. „Im 21. Jahrhundert fand und findet die Annäherung statt, und künftig kommt es zur Verschmelzung von beidem.“
Für den Volkswirtschaftler stellen sich mit dieser „Cyborgisierung“ zwangsläufig Fragen der Ethik. „Wir müssen uns fragen: Welche Zukunft wünschen wir uns?“ Was digitale Technologie schon heute imstande sei zu leisten, zeigte Dapp an mehreren Beispielen, von denen ein (digital erzeugtes) Rembrandt-Gemälde und ein preisgekröntes (ebenfalls im Computer geschaffenes) Gedicht vielleicht noch Entzücken hervorriefen. Wenn Gedanken eine Armprothese steuern oder eine smarte Kontaktlinse den Blutzuckerspiegel misst, auch dann werden wohl die meisten noch zustimmend nicken. „Doch was, wenn diese Techniken bei gesunden Menschen eingesetzt werden?“ fragte Dapp. Zu einer Verteufelung führen solche Überlegungen bei dem Referent nicht, denn „wir haben die Möglichkeiten, die Szenarien positiv umzudrehen.“ Von Gastgeber Wössner danach befragt, ob er ein digitaler Optimist sei, antwortete der zweifache Vater: „Ja, ich muss es sein.“ Das Thema des digitalen Struktur- und Lebenswandels breit in die Bildung reinzubringen, ist eine seiner Antworten: „Digitalisierung ist kein Selbstzweck, wir müssen bewusst mit unseren Daten umzugehen.“
KI als Schnittmenge von kognitiver und Computer-Wissenschaft plus Statistik
Da passte, was Dr. Udo Milkau nach der Mittagspause über seinen Vortrag geschrieben hatte: „Demythifizierung von Artificial Intelligence (AI)“. An Milkaus Behauptung „AI ist weder kognitiv noch kreativ“ schloss sich sogleich die Schlussfolgerung an: „Künstliche neuronale Netzwerke sind keine Gehirne.“ Künstliche Intelligenz sei bei weitem nicht so griffig, wie angenommen werde, weil sie oftmals ein Reden über das sei, was andere geredet hätten. „Aber nicht über die Sache“, holte Milkau den Mythos KI auf den Boden der Tatsachen zurück. „Das ist zu 99,9 Prozent Statistik.“ Der Referent ist von Hause aus Physiker, hat verschiedene Lehraufträge und befasst sich im Auftrag der DZ Bank mit Transaction Banking, Digitalisierung und strategischer Bankgeschäftsentwicklung. Sich auf das zuvor Gezeigte beziehend, bewertete er die „Rembrandt-Kopie“ weder als kreative noch kognitive Leistung. „Das können allein Menschen – etwas ganz Neues schaffen. Maschinen können das nicht.“
Der hohe Stellenwert der Künstlichen Intelligenz beruhe auf einer historischen (Fehl)einschätzung. Die Begriffe seien überladen. „Darum ist es wichtig, aufzuklären, sehr, sehr viel zu erklären und zu korrigieren“, schickte Milkau seine Zuhörerschaft in einen „mühsamen Prozess“, den man aber nicht umgehen könne. Prozesse, wie sie auch in der Entscheidungsfindung etwa bei der Kreditpolitik einer Bank zu durchlaufen seien. „Bis gute Ergebnisse bei neuen KI-Lösungen erreicht sind“, so der Referent, „dauert es länger als angepriesen und angenommen.“
Digitalisierung im Risikomanagement ersetzt gesunden Menschenverstand nicht
Das Verhältnis von Mensch und Maschine stand auch im Fokus des nächsten Vortrags, das Verhältnis, das für Carsten Krah einem „Wettlauf“ gleicht. Der Bankkaufmann und studierte Wirtschaftswissenschaftler arbeitet im Risk Competence Center von SAS, ein Großunternehmen für Analytik-Sofware. Seit der Finanzkrise habe das Risikomanagement in Banken an Bedeutung zugenommen und damit auch die Notwendigkeit der Digitalisierung. Krah berät Finanzhäuser bei der Frage, wie Informationstechnologie bzw. Analytik sie bei den Herausforderungen unterstützen kann, was sie brauchen und worauf sie verzichten können. „KI funktioniert heute schon, um Finanzrisiken und Betrugsversuche früher und verlässlicher zu erkennen.“ Über 80 Prozent der Nutzer in der Industrie sähen die Vorteile von Künstlicher Intelligenz und Digitalisierung im Risikomanagement.
Zugleich warnte Krah vor einer Standardisierung und erzählte eine ganz persönliche „Risikokredit“-Anekdote, die damit endete, dass sein Bankberater die Vergabe entschieden habe - nach dem Verhältnis von Mensch zu Mensch und nicht Mensch zu Maschine. Denn: „Die Maschine ist nur so gut, wie wir ihr dabei helfen.“ Auch spare sie nicht die Bewertung; Zahlenströme auszuwerten, könne nämlich beides sein: Diskriminierung und Liquiditätsprüfung. „Wir sind analytischer geworden, aber bitte vergessen Sie nicht Ihren gesunden Menschenverstand!“ Mit einigen „Quick-Tipps“ für den Umgang mit KI „übergab“ der SAS-Experte an den letzten Gastredner des Tages.
Kundennähe in Sozialen Netzwerken erzeugen
Die Face-to-face-Geschichte, die Krah „serviert“ hatte, stellte Gerrit Dietz seinen Betrachtungen zur Bankkommunikation voran. Einst nämlich sei das das Gesicht der Finanzbranche gewesen. Doch es tun sich „neue digitale Räume“ auf, auch und insbesondere durch jenes Unternehmen, das Dietz in Mosbach repräsentierte: Facebook. „Kundennähe“, erinnerte der Verantwortliche im Hause Facebook für hiesige Banken und Versicherungen sich an seine Zeit als Banklehrling, „war damals ganz anders.“ Dem Schlüsselwort des Forums – digital – fügte er ein weiteres hinzu, um zu beschreiben, wie Menschen heutzutage ihre Bankgeschäfte erledigen wollten: mobil. „Immer weniger Kunden kommen in die Bank, damit geht Nähe verloren.“ Nähe, die sich mit Hilfe der Technik aber wieder herstellen lasse.
Als Menschen seien wir auf Kommunikation angewiesen, doch die Art des Kommunizierens habe sich massiv verändert. Auch die Bank in der Hosentasche könne Kundennähe bedeuten, zitierte der Facebook-Berater BVR-Präsidentin Marija Kolak. In den neuen Formen der Kommunikation ist Facebook einer der großen Global Player, was Dietz mit eindrucksvollen Nutzerzahlen zeigte. 2,7 Milliarden Menschen weltweit nutzten Soziale Netzwerke wie Facebook, Instagram oder WhatsApp, „verbringen Zeit mit uns“, so die Lesart von Gerrit Dietz. „Wir sind immer da statt nur erreichbar.“
Den Faden nahm Prof. Wolf Wössner auf: „Wir Menschen stellen uns den Problemen, in dem wir darüber reden.“ Das Experten-Forum tat es in geballter Form. Mit einer bewusst langen Mittags“pause“ und einem „Get-together“ am Schluss der Veranstaltung wurde diesem Bedürfnis der entsprechende Rahmen gegeben. Und soll ihn auch in Zukunft bekommen.
Vortragsunterlagen finden Sie unter: http://digital-banking-studieren.de