Die Erforschung von Schwarmintelligenz
Die Natur fasziniert mit hochkomplexem Verhalten bei Tieren in großen Gruppen. Es gibt viele Beispiele für die Zusammenarbeit einzelner Individuen, die für sich genommen wenig bewerkstelligen können, aber in einer Gruppe zu erstaunlichen Leistungen fähig sind. Das neue Swarm Lab des Studiengangs Angewandte Informatik der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) Mosbach setzt sogenannte Kilobots in Forschung und Lehre ein, um schwarmbasierte Algorithmen weiterzuentwickeln und den Studierenden zu vermitteln. Über die technischen Möglichkeiten und industriellen Anwendungsfälle sprachen wir mit zwei Professoren der DHBW Mosbach im Vorfeld der Hannover Messe, auf der die Kilobots vorgestellt werden.
Was ist eigentlich ein Bot?
Christian Kuhn: Ein Bot ist ein Computerprogramm, das weitgehend automatisch Aufgaben abarbeitet, ohne dabei auf die Interaktion mit einem menschlichen Benutzer angewiesen zu sein. Zunächst einmal ist es nicht mechatronisch, sondern eine reine Softwarelösung. Auch ein Frage-Antwort-Spiel mit Chatprogrammen in der Kundenkommunikation funktioniert über Bots, hinter denen kein Mensch steht.
Kilobots sind eine spezielle Form eines Bot, die mit Sensoren und Aktoren ausgestattet sind. Sensoren brauchen sie, um den Raum wahrzunehmen und miteinander zu kommunizieren; über die Aktoren sind Bewegungsabläufe möglich.
Alexander Auch: Die Kilobots entstanden 2011 in einem Projekt der Harvard University. Eine Arbeitsgruppe entwickelte für die Lehre einfache, mobile Einheiten, von denen kostengünstig große Mengen hergestellt werden können, um Schwärme zu simulieren. Die Möglichkeiten der Kilobots sind deswegen zunächst beschränkt, aber man kann trotzdem sehr gut Schwarmverhalten mit ihnen erforschen.
Welchen Nutzen versprechen Sie sich aus der Erforschung schwarmbasierter Algorithmen?
Christian Kuhn: Die Logik, wie sich Bots verhalten, kann man mit den kleinen Kilobots modellieren. Danach überträgt man seine Erkenntnisse auf andere Bots. Diese können in Zukunft in der Industrie wie kleine mobile Roboter eingesetzt werden und damit wesentlich mehr Fähigkeiten und Funktionen haben.
Auch: Die Kilobots können sich bisher nämlich nur drehen, laufen und sehr beschränkt ihre Umgebung wahrnehmen. Über zwei Vibrationsmotoren, wie sie auch in Handys verbaut sind, sind Drehungen nach links oder rechts möglich. Außerdem laufen die Kilobots damit geradeaus, wenn auch nicht sehr schnell und präzise. Über einen Infrarot-Sender und -Empfänger, die unten an den Bots angebracht sind, können sie Nachrichten miteinander austauschen. Das Infrarotsignal wird vom Boden reflektiert, sodass es sich relativ breit streut.
Worüber ‚reden‘ die Kilobots miteinander?
Alexander Auch: Jeder Kilobot sendet seinem Nachbarn seine Identität, ob er einer bestimmten Einheit angehört und welche Nachbarn er ‚sieht‘. Auf diese Weise empfängt er auch, wie viele Nachbarn seine Nachbarn wahrnehmen und kann abschätzen, ob er und seine Nachbarn sich in der Peripherie oder im Zentrum des Schwarms befinden. Über die Signalstärke können die Kilobots die Distanz zum nächsten Nachbarn abschätzen; ab einer gewissen Distanz verlieren sie den Kontakt.
Diese Nachrichten sind für den einzelnen Kilobot wichtig, damit er schnell reagieren kann, wenn ein anderer Bot von ihm wegwandert. Denn dann kann er selbst zügiger loslaufen, um den Kontakt zum Schwarm nicht zu verlieren. Natürlich hängt das Verhalten des einzelnen Bots davon ab, welcher Gruppe der andere Bot angehört, der sich nähert oder entfernt. Das wird wichtig, sobald wir komplexe Szenarien simulieren.
Welche Szenarien muss man sich in der Schwarmforschung vorstellen?
Alexander Auch: Aktuell beschäftigen wir uns vermehrt mit dem Räuber-Beute-Szenario. Für die Schwarmforschung orientieren wir uns an Beispielen aus der Natur. Ameisenkolonien suchen so zum Beispiel große Bereiche nach Nahrung ab oder schließen sich zu Brücken und Ketten zusammen, um Hindernisse zu überqueren oder zu umgehen. Das Verhalten von Schwärmen ist ein Phänomen, das sich ausschließlich aus der Wechselwirkung von benachbarten Individuen ergibt. Diese Verhaltensweisen möchten wir in unsere Kilobots hineinprogrammieren.
Was genau passiert dann mit den Räubern und ihrer Beute?
Alexander Auch: Für das Räuber-Beute-Szenario haben wir unsere Kilobots in zwei Gruppen einteilt: Zwei Kilobots sind Wölfe, acht Stück sind Schafe. Die Schafe müssen zunächst eine Art Schwarm bilden, d.h. sie müssen sich finden. Dazu laufen sie und drehen sich, bis sie in ihrer Umgebung mindestens drei andere Kilobots ‚sehen‘. Danach bleiben sie stehen und grasen friedlich. Dieser Modus wird mit einer weißen LED auch dem Zuschauer angezeigt.
Ein sich nähernder Kilobot übermittelt wie bereits erwähnt eine Nachricht, wer er ist und vor allem, ob er Wolf oder Schaf ist. Wenn ein Wolf kommt, nehmen die Schafe das wahr und versuchen auszuweichen. Dieser Panikmodus wird mit einer pinken LED angezeigt. Weil die Kilobots in ihrer beschränkten Sensorik die Richtung des Signals nicht orten können, zeigen sie ein zufälliges Verhalten: Sie laufen in eine beliebige Richtung und messen ständig die Distanz zum Räuber. Wird die Distanz kleiner, wissen sie, dass sie in die falsche Richtung laufen und dann erfolgt eine Drehung. Auf diese Art versuchen sie zu entkommen.
Über die Einsatzmöglichkeiten der Kilobots lesen Sie mehr in Teil 2 des Interviews.
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